Neue Abgasverordnung: VW unter Einflussnahmeverdacht in Brüssel

 

Die Praxis ist in Brüssel und Berlin wohlbekannt: Konzerne werben nicht nur mit Hilfe von Lobbyisten für ihre Interessen, sondern schicken Abgeordneten mitunter ganze Gesetzestexte. Etwas ähnliches hat offenbar vor Kurzem auch Volkswagen versucht, wie ein Dokument aus dem Umweltausschuss des Europaparlaments nahe legt.

 

Der CSU-Abgeordnete Albert Deß hat offenbar versucht, bestimmte Kleinbusse vor schärferen Schadstoffregeln zu bewahren. Dazu reichte er im Umweltausschuss einen Zusatz zur neuen EU-Verordnung zu Autoabgasen ein. Dumm nur: Das Dokument, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, stammt möglicherweise aus der Feder der Volkswagen-Gruppe.

Schon in einer früheren Version des Änderungsantrags ("Amendment"), die vom 4. September stammt, tauchte "Volkswagen Group" als Quelle auf - allerdings nur in den Datei-Eigenschaften des Word-Dokuments, und auch dort nur in der "Firma"-Zeile, die man gezielt aufrufen muss.

Die letzte Version des Antrags ließ Deß am 16. September an den Umweltausschuss schicken - nur zwei Tage, bevor bekannt wurde, dass VW die Abgaswerte seiner Autos per Software manipuliert hat. Auch in dieser Version ist als Firma die Volkswagen-Gruppe vermerkt, abermals nur in den Dokumenten-Eigenschaften. Im Text selbst ist nirgendwo von VW die Rede. "Wer seine Änderungsanträge von der Lobby schreiben lässt", kritisiert der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold, "sollte wenigstens in die Begründung schreiben, wo er sie herhat."

Eine Stellungnahme von VW zu dem Vorgang liegt bislang nicht vor. Deß selbst sagt, er wisse nicht, wie die "Volkswagen Group" in seinen Änderungsantrag gekommen sei. Aus dem ihm vorgelegten Dokument sei nicht ersichtlich gewesen, wer der Urheber ist. Dass Industriekonzerne oder Interessenverbände "Vorschläge" für Gesetze an Abgeordnete schicken, sei völlig normal. "Mir ist egal, woher ein Vorschlag kommt", so Deß gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Wenn er sinnvoll ist, würde ich ihn von der Automobilindustrie genauso übernehmen wie von einem Umweltverband."

"Anomalie" sollte aus der EU-Vorschrift getilgt werden

In der EU-Abgasverordnung "Euro 5/6", die alle paar Jahre überarbeitet wird, geht es um Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von bis zu 7,5 Tonnen. Darin gibt es auch Erleichterungen für Autos, die "besonderen sozialen Bedürfnissen" dienen, darunter Kleinbusse mit bis zu neun Sitzen. In seinem Änderungsantrag fordert Deß, dass die Regel auf alle Kleinbusse ausgedehnt wird. "Es sollte nicht der Zweck des Gesetzes sein, die Produktion von größeren Kleinbussen zu erschweren", heißt es in dem Papier. Schließlich würden solche Fahrzeuge vor allem als Schulbusse oder für den Transport von Behinderten eingesetzt. Die "Anomalie" müsse deshalb aus der EU-Vorschrift verschwinden.

Ein Mitarbeiter von Deß betonte, es habe sich bei dem Dokument nur um eine Diskussionsgrundlage gehandelt. Sie sei in den Verhandlungen mit den Vertretern der anderen Fraktionen im Umweltausschuss verworfen worden. Das habe vor Bekanntwerden der VW-Affäre um Abgas-Manipulationen stattgefunden und habe deshalb nichts mit ihr zu tun.

Das Gespräch mit den anderen Fraktionen fand am Donnerstag statt; die US-Umweltbehörde EPA machte den VW-Skandal am Freitag öffentlich. Doch mehrere Mitglieder des Umweltausschusses berichten, dass Deß - nachdem sein Änderungsantrag keine Mehrheit fand - angekündigt habe, diesen als sogenannten mündlichen Zusatz direkt bei der abschließenden Abstimmung am Dienstag einzubringen.

Deß muss jetzt härtere Abgasregeln vertreten

 

Davon war Anfang der Woche dann keine Rede mehr. Stattdessen kam bei der Abstimmung im Umweltausschuss am Dienstag ein Antrag der Grünen durch, der in eine ganz andere Richtung geht: Künftig sollen Abgastests unter realen Bedingungen EU-weit für alle Neuwagen verpflichtend sein, und zwar schon ab diesem Jahr. Das Ziel ist, die bisherige Praxis zu beenden, bei der anhand umstrittener Labortests oft Fabelwerte bei den Abgas-Angaben herauskommen.

Mit dieser Position geht das EU-Parlament nun in die Verhandlungen mit der EU-Kommission und dem Europäischen Rat, an deren Ende die neue "Euro 5/6"-Verordnung stehen wird. Pikant: Der Berichterstatter - und damit der Verhandlungsführer für das Parlament - ist Albert Deß. "Herr Deß wollte Volkswagen wohl eine Extrawurst braten", sagt Grünen-Politiker Giegold. "Jetzt muss er stattdessen das einstimmige Votum des Parlaments für verpflichtende Real-Tests für alle Autokonzerne durchsetzen."

Deß' Mitarbeiter äußerte Unverständnis über den Trubel um den Antrag. Dass die Volkswagen-Gruppe in den Dokument-Eigenschaften als Urheberin auftaucht, findet er "im Nachgang nur folgerichtig, da in Positionen von Interessengruppen auch die Quelle erscheinen soll".

Zum Autor:

 
Markus Becker ist Korrespondent in der Redaktionsvertretung Brüssel.

E-Mail: Markus_Becker@spiegel.de

 

zurück